Offener Brief zum Gesetzespaket zum Thema „Fracking“


Sehr geehrter Herr Mattfeldt,


für die unten genannten Bürgerinitiativen zur Erdgasförderung im Landkreis Verden möchte ich zum o.g. Gesetzespaket gerade vor dem Hintergrund Ihrer Äußerungen als Bundestagsabgeordneter aus dem Landkreis Verden wie folgt Stellung nehmen.
Nachdem Sie in der Sitzung des Deutschen Bundestages vom 24.06.2016 dem Gesetzespaket zum Fracking zugestimmt haben, haben Sie noch am gleichen Tag in einem Beitrag auf Ihrer Internetseite und auch in der Folgezeit bei öffentlichen Auftritten die Verabschiedung der Gesetze mehrfach als Erfolg im Sinne eines „guten Kompromisses“ verkündet. Hierbei nennen Sie vor allem drei Gründe, nämlich

1. dass es „ohne diese Regelungen nicht zu einem Fracking-Verbot im Schiefergas und zu keinerlei Verbesserung bei der konventionellen Förderung“ gekommen wäre,
2. dass „Lagerstättenwasser nur noch in ausgeförderte Lagerstätten verbracht werden (darf), wenn es nach dem neuestem Stand der Technik gereinigt und aufbereitet wurde“ und
3. dass es nunmehr „endlich eine echte Beweislastumkehr für von Erdbeben verursachte Schäden an Häusern“ gebe.

Den in diesen Behauptungen liegenden Fehlinformationen der Öffentlichkeit widersprechen wir als von der Erdgasförderung im Landkreis Verden betroffene Bürgerinitiativen energisch. Hierzu im Einzelnen:

1. Das in erster Linie von der Politik betonte Verbot des Fracking in Schiefer-, Ton- oder Mergelgestein oder Kohleflözgestein („unkonventionelles Fracking“) hat für Völkersen absehbar keine Bedeutung, da die DEA nach eigenem Bekunden derartiges nicht plant und im Erdgasfeld Völkersen nach bisherigen Erkenntnissen insoweit auch keine ergiebigen Vorhaben zu erwarten sind. Im Übrigen ist es auch schlicht nicht zutreffend, von einem Verbot zu sprechen, da bekanntlich bis zum Jahre 2021 vier Erprobungsmaßnahmen durchgeführt werden können und dieses den Interessen der Industrie unserer Auffassung nach durchaus entgegenkommt. Entscheidender ist auch, dass im Erdgasfeld Völkersen die Förderung im bisherigen Stil ohne wesentliche Änderungen fortgeführt und sogar erweitert werden kann, da die beschlossenen Gesetzesänderungen insoweit keinerlei Versagungsgründe beinhalten und die dort genannten Schutzgebiete nicht betroffen sind. Gesetzlich festgeschrieben ist jetzt lediglich, dass der „Stand der Technik“ einzuhalten ist, die Integrität des Bohrlochs sichergestellt werden muss, in Erdbebenzonen 1-3 ein seismologisches Basisgutachten zu erstellen ist und die Methanfreisetzung sowie Lagerstättenwasser und Rückfluss nach dem Stand der Technik lediglich überwacht werden muss. Hierbei handelt es sich aber um Bedingungen, die auch schon Gegenstand in den bisherigen Genehmigungsverfahren gewesen sein sollten. Soweit die Bergbehörden jetzt im gebundenen Einvernehmen mit der zuständigen Wasserbehörde entscheiden, sollte es sich eigentlich um eine Selbstverständlichkeit handeln.
Lediglich für den Fall, dass im Erdgasfeld Völkersen (stimulierende) Fracks durchgeführt werden sollen, gelten besondere Bedingungen insoweit, als dann ein UVP durchgeführt werden müsste. Diese von der Politik als großer Fortschritt verkündete Ausweitung der Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen der Erdgasförderung erweist sich für Völkersen jedoch nur als wenig ergiebig. Im Gegensatz zum bisherigen Zustand (nur für Fördervolumen zu gewerblichen Zwecken von täglich mehr als 500.000 m³) ist die UVP jetzt zwar für alle Fracking- und Verpressanträge vorgesehen. Die Einrichtung neuer Bohrplätze, auch in unmittelbarer Nähe von Wohngebieten etc., bleibt hingegen UVP-frei. Grundsätzlich ist nach den Erfahrungen aus der Vergangenheit zur UVP aber sowieso festzustellen, dass diese inhaltlich wenig unmittelbare Wirkung zeigt und schon gar nicht ein Vorhaben verhindern wird. Der Vorteil liegt einzig und allein in der damit zwingend verbundenen Beteiligung der Öffentlichkeit.

2. Die neuen Regelungen zur Verpressung des Lagerstättenwassers haben für Völkersen allerdings entscheidende Bedeutung, da nunmehr grundsätzlich nur noch die Verpressung in ausgeförderte Lagerstätten (druckabgesenkte kohlenwasserstoffhaltige Gesteinsformationen) zulässig sein soll. Eine schlüssige Begründung, warum dieses eine sichere und umweltgerechte Methode sein soll, findet sich weder im Gesetz selbst noch in dessen Begründung. Eine Auseinandersetzung mit den Fragen, ob durch das Verpressen die Erdbebengefahr steigt („seismologischen Gefährdungen“ ist lediglich durch „geeignete Maßnahmen (?) vorzubeugen“), wie die Risiken des Transportes zu behandeln sind und wie die Dichtigkeit der genutzten Bohrlöcher zu prüfen und überwachen ist, hat offenbar nicht stattgefunden. Es trifft auch nicht zu, dass das Lagerstättenwasser vor dem Verpressen gesetzlich zwingend nach dem Stand der Technik aufzubereiten ist. Entgegen der von Ihnen verbreiteten Interpretation obliegt es nämlich gemäß § 22 c Absatz 1 Satz 5 der Allgemeinen BergVO der Entscheidung der Behörde, ob eine derartige Aufbereitung verlangt wird. Schließlich gibt es auch keinerlei Beschränkungen hinsichtlich des zulässigen Umfanges des in eine Lagerstätte zu verpressenden Lagerstättenwassers, so dass z.B. die vorgesehene Bohrung Nord Z3 in Völkersen wie vorgesehen für das gesamte in Niedersachsen bei der DEA anfallende Lagerstättenwasser genutzt werden kann. Dass Ihre Behauptung, wonach nur noch „nach dem neuesten Stand der Technik gereinigtes und aufbereitetes“ Lagerstättenwasser verpresst werden darf, unzutreffend ist, ergibt sich im Übrigen aus der entsprechenden Verordnung selbst. Die besonderen Regelungen für die Behandlung des Flowback (Rückfluss aus der Frack-Flüssigkeit) in § 22 c Abs.2 der Allgemeinen BergVO lassen es nämlich ausdrücklich zu, dass das zu versenkende Lagerstättenwasser einen Anteil „wassergefährdender Stoffe“ von 0,1 % enthalten darf. Das bedeutet zum einen, dass es insgesamt einen wesentlich größeren Anteil des Flowback enthalten darf, soweit es sich nicht um „wassergefährdende Stoffe“, also auch „schwach wassergefährdende Stoffe“ handelt. Zum anderen entsprechen 0,1 % bei der für Nord Z3 vorgesehenen Verpressmenge von maximal 120.000 m³/jährl. bzw. 1,2 Mio. m³ insgesamt einer Jahresmenge von 120 m³ wassergefährdender Stoffe jährlich bzw. 1.200 m³ insgesamt, die allein in diese Versenkstelle eingebracht werden dürfen.

3. Schließlich ist auch Ihre mehrfach vorgetragene Behauptung, dass es nunmehr „endlich eine echte Beweislastumkehr für von Erdbeben verursachte Schäden an Häusern“ gebe, unzutreffend. Zunächst einmal ist darauf hinzuweisen, dass die Bergschadensvermutung des § 120 BBergG nicht eine „echte Beweislastumkehr“ beinhaltet, bei der das Unternehmen den vollen Beweis dafür führen müsste, nicht der Verursacher von Erdbebenschäden an Gebäuden zu sein. Vielmehr handelt es sich um einen „widerlegbaren Beweis des ersten Anscheins“ (vgl. Rossnagel u.a., Rechtliche Rahmenbedingungen der Unkonventionellen Erdgasförderung mittels Fracking“, Kassel 2012, S. 73 m.w.N.), für dessen Erschütterung es schon ausreicht, dass Alternativursachen hinreichend plausibel dargelegt werden (vgl. Shearmann & Sterling LLP, Mandanteninformation v. 15.04.2013).
Gravierender ist aber vor allem, dass sich gem. § 120 BBergG für die Anwendung der Bergschadensvermutung die beschädigten Gebäude etc. im sogenannten „Einwirkungsbereich“ des Erdbebens befinden müssen. Die Grenzen des „Einwirkungsbereichs“ sind in § 4 der entsprechenden Einwirkungsbereichs-Bergverordnung dadurch definiert, dass „entsprechende Bodenschwinggeschwindigkeiten“ vorliegen müssen. Diese sind dann wiederum in der Verordnung selbst nicht genannt, sondern erst in deren Begründung. Und dort wird unter Bezugnahme auf eine von Experten durchaus kritisierte DIN-Norm 4150 Teil 3 eine Schwinggeschwindigkeit von 5 mm/s für Wohngebäude genannt. Ein derartiger Wert wurde bei keinem der bisherigen Erdbeben in Völkersen erreicht. Soweit hierzu das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie erklärt hat, dass bei dem Erdbeben vom 22.04.2016 „die größte gemessene maximale Bodenschwinggeschwindigkeit 5,5 mm/s“ betragen haben soll, ist auch das nur die „halbe Wahrheit“. Nach Auskunft des LBEG wurde dieser Wert tatsächlich nur an der Messstation „ZURM“ in Blender gemessen. Diese liegt 6,4 km vom Epizentrum entfernt, so dass es schon sehr verwundern muss, dass an sämtlichen näher am Epizentrum gelegenen Stationen niedrigere Werte gemessen wurden. Auf Nachfrage hat das LBEG dann auch mitgeteilt, dass diese Station „für wissenschaftliche Untersuchungen installiert wurde, und die Installation dieser Station nicht den Vorgaben der DIN 4150 (Erschütterungen im Bauwesen)“ entspricht. Das heißt nichts anderes, als dass der dort gemessene Wert nicht zur Festlegung des Einwirkungsbereichs hätte herangezogen werden können. Es bleibt somit dabei, dass hinsichtlich sämtlicher durch die Erdgasförderung ausgelöster Erdbeben im Feld Völkersen trotz hunderter beschädigter Gebäude die Beweiserleichterung der Bergschadensvermutung nicht zur Anwendung gekommen wäre. Ihre Behauptung, dass nunmehr eine „echte Beweislastumkehr“ bei den durch die Erdgasförderung verursachten Erdbebenschäden greife, entspricht somit nicht der von Ihnen mit beschlossenen Rechtslage.

Soweit zu den von Ihnen mehrfach aufgestellten Behauptungen. Vor dem Hintergrund der zuvor gemachten Ausführungen möchten wir Sie daher dringend bitten, das von Ihnen mit beschlossene Gesetzespaket zumindest nicht mehr als „Erfolg“ zu verkaufen, sondern die Bürger sachgerecht und umfassend zu informieren. Hierbei sollten Sie auch nicht unerwähnt lassen, dass die verabschiedeten Gesetze und Verordnungen in wesentlichen Punkten überhaupt keine Regelungen enthalten. Dieses sei abschließend nur noch an zwei Beispielen belegt:

• Da inzwischen unstreitig ist, dass durch die Erdgasförderung Bodensenkungen entstehen und zu befürchten ist, dass diese auch unabhängig von seismischen Ereignissen zu Schäden führen können, hätte es einer Änderung des § 125 BBergG dahingehend bedurft, dass die Unternehmen zumindest im Bereich der Erdgasfördergebiete die dort gen. Messungen grundsätzlich durchzuführen haben und nicht erst – wie im jetzigen Absatz 2 vorgesehen – wenn „Auswirkungen auf bauliche Anlagen eingetreten oder zu erwarten sind, wenn die Messungen zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit oder bedeutende Sachgüter von Bedeutung sein können“

• Trotz des sich immer mehr verdichtenden Verdachts auf eine Gefährdung von Gesundheit und Umwelt durch das sog. offene „Abfackeln“ ist dieses an keiner Stelle geregelt oder gar untersagt worden.

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund können wir als Bürgerinitiativen nur noch einmal betonen, dass wir unseren Widerstand gegen die Belastungen und Nachteile der Erdgasförderung nicht nur in unserer Region unvermindert fortsetzen werden.

Mit freundlichen Grüßen

Gero Landzettel

 

für die Bürgeriniativen in Langwedel, Völkersen, Intschede, Walle, Thedinghausen/Achim und Lintler Geest