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Und dann bebte die Erde  

Ein ganz anderes Risiko der Erdgasförderung offenbarte sich Ende 2012. Am 22.11.2012 kam es nämlich im Bereich des RWE-Fördergebietes in Völkersen zum wiederholten Mal zu einem Erdbeben, dessen Lokalmagnitude nach Angaben des LBEG mit 2,8 (ML) berechnet wurde.  Nachdem zunächst Unklarheit über die Ursache herrschte - die RWE-Dea bestritt sogar umgehend einen Zusammenhang mit der Erdgasförderung - erklärte der Geophysiker Nicolai Gestermann von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe auf einer öffentlichen Veranstaltung bereits am 06.12.2012, dass das Beben „mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Erdgasförderung zurückzuführen“ sei.

Dieses wurde endgültig durch eine am 24.06.2013 vorgestellte Untersuchung der Bundesanstalt bestätigt. Dem entsprechen im übrigen auch Erfahrungen aus dem niederländischen Groningen, wo es infolge der Erdgasförderung in den letzten Jahren zunehmend zu 50 – 80 Erdbeben jährlich mit einem Wert von bis zu 3,6 auf der Richterskala gekommen ist. Eine Studie des niederländischen Wirtschaftministeriums kommt dabei zu dem Schluss, dass zukünftig sogar noch häufigere und schwerere Erdbeben bis zu einer Stärke von vier bis fünf zu erwarten seien (vgl. Zeit online vom 18.12.2013: Wenn die Erde täglich bebt).  Vor diesem Hintergrund sah sich nun auch die RWE-Dea genötigt, sich näher mit den gemeldeten Schäden zu befassen und beauftragte einen Sachverständigen mit deren Begutachtung. Allerdings nicht, wie es eigentlich nahe gelegen hätte, an einen ausgewiesenen Experten für die Begutachtung von Bergschäden, sondern an einen Sachverständigen für (normale) Bauschäden, der lediglich einen Sachverständigen für Schall- und Schwingungstechnik beizog.

Deren Gutachten liegen jetzt vor und was als erstes auffällt ist, dass große Teile bis aufs Wort gleiche Formulierungen enthalten und die Ausführungen im Wesentlichen lediglich bei der Dokumentation der jeweiligen Gebäudeschäden individualisiert sind.  Zum Inhalt selbst beginnen die Gutachten mit kurzen allgemeinen Objektfeststellungen (Ein- oder Mehrfamilienhaus; ein- oder mehrgeschossig; Baujahr) und kommen dann zur Dokumentation der angezeigten Risse. Dieses geschieht in der Weise, dass Lage und Verlauf, Länge und Breite der Risse erhoben und fotografisch dokumentiert werden.

Die bei Bergschäden von Fachleuten für unerlässlich gehaltene und in diesem Fall auf Grund der Datenlage besonders wichtige Feststellung zum Alter der Risse ist nicht erfolgt (vgl. Andreas Mollinga, Bergschadensregulierung, S. 53/54).  Nach diesen „dokumentarischen“ Feststellungen wird im Gutachten sodann über ganze 2 ½ Seiten zur Ursache der Rissbildung Stellung genommen bzw. eine sogenannte Auswertung vorgenommen. Hierbei bezieht sich das Gutachten des Bausachverständigen aber ausschließlich auf ein sog. „Erschütterungstechnisches Gutachten“ bzw. eine sog. „Erschütterungstechnische Beurteilung“ des Sachverständigen für Schall- und Schwingungstechnik  Und diese sehen dann so aus, dass in dem (längeren) „Erschütterungstechnischen Gutachten“ eine allgemeine Auswertung der zum Erdbeben vorhandenen Messergebnisse unter Zugrundelegung von nicht näher definierten „allgemeinen Erfahrungen“ und der DIN 4150 Teil 3 vorgenommen wird.

Hierbei werden die seinerzeit erhobenen bzw. von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) und der DMT GmbH Essen ausgewerteten Messergebnisse zu Grunde gelegt, ohne diese auch nur ansatzweise zu hinterfragen. Dazu hätte aber aller Anlass bestanden. Nicht nur, dass BGR und DMT unterschiedliche Epizentren ermittelt haben – was allein schon darauf hindeuten könnte, dass die Datenerhebung nicht eindeutig ist -. Das BGR selbst hat in seiner Auswertung aus Juni 2013 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „die abgeschätzte Bodengeschwindigkeit nur als ein sehr grober Richtwert anzusehen“ ist und dass „sich anhand der Daten nicht klar entscheiden (lässt), ob die von dem Erdbeben erzeugten Bodenschwinggeschwindigkeiten ausreichend waren, um kleinere Schäden an Gebäuden hervorzurufen“. Gleichwohl übernehmen die Gutachter diese Auswertungen sozusagen ungeprüft um sie sodann unter Zugrundelegung der DIN 4150 Teil 3 zu verarbeiten.

Eine derartig schematische Herangehensweise entspricht aber weder den in der Fachliteratur zu Bergschäden vertretenen Auffassung (vgl. Mollinga, aaO., S. 59/60) noch der Rechtsprechung zu dieser Frage, wo wiederholt betont wird, dass die DIN 4510 Teil 3 zwar Anhaltswerte gibt, aber „keine verlässliche Grundlage für die Annahme erschütterungsbedingter Gebäudeschäden“ enthält, sie deshalb nicht „schematisch angewandt werden“ dürfen (so z.B. LG Saarbrücken, Urteil vom 25.11.2011).  Ergebnis: Es hätte aller Anlass bestanden, nicht schematisch die vom BGR und der DMT GmbH ausgewerteten Messergebnisse zu Grunde zulegen und diese dann sozusagen in die Vorgaben der DIN 4510 zu „pressen“, sondern viel stärker auf die tatsächlichen Schäden und das einzelne Objekt bezogene Feststellungen – z.B. auf die dort vorhandenen Bodenverhältnisse - abzustellen.  

Ansatzweise erfolgt eine objektbezogene Betrachtung sodann in der nachfolgend erstellten „erschütterungstechnischen Beurteilung“. Dieses ergibt sich daraus, dass die Gutachter zwar davon ausgehen, dass die zu Grunde gelegten Schwinggeschwindigkeiten nach DIN 4510 Teil 3 bei „normalen“ Wohngebäuden keine Schäden verursachen können, wohl aber bei „besonders erschütterungsempfindlichen Gebäuden“.

Und so dient die „erschütterungstechnische Beurteilung“ zur Feststellung, ob es sich um einen solchen Gebäudetyp handelt. Diese Feststellung wird allerdings nicht – wie man erwarten könnte - durch den Bausachverständigen getroffen, sondern wiederum durch den SV für Schall- und Schwingungstechnik. In dem nur 1 ½ Seiten langen Text befasst sich allerdings nur der letzte Absatz konkret mit der Frage des Gebäudetyps, indem dort zwar behauptet aber nicht näher begründet wird, ob es sich um ein solches Gebäude handelt bzw. nicht handelt.

Dieses wird so vom Bausachverständigen übernommen mit der weiteren Feststellung, dass es sich im verneinenden Fall bei den Rissen etc. um „Baumängel (aus technischer Sicht)“ handelt. Auch hier fällt allerdings auf, dass der Bausachverständige die Einordnung der Risse als „nicht erdbebenbedingt“ bzw. als Baumängel nicht einmal ansatzweise auf der Grundlage der festgestellten Schäden herleitet oder gar nachvollziehbar begründet. Ebenso wenig wird in der „erschütterungstechnischen Beurteilung“ auch nur ansatzweise ausgeführt oder gar begründet, wie es zu der jeweiligen Klassifizierung bzw. Nicht-Klassifizierung als „besonders erschütterungsempfindliches Gebäude“ kommt. Vollends unverständlich wird diese Art der Begutachtung dann, wenn berücksichtigt wird, dass der Sachverständige für Schall- und Schwingungstechnik die Gebäude vor Ort nicht einmal in Augenschein genommen hat.

Damit erschließt sich nicht einmal, auf welcher Basis die Klassifizierung vorgenommen wurde.  Zusammenfassend kann das Gutachten nur als ungeeignet bezeichnet werden, da keine nachvollziehbar begründeten objektbezogenen Feststellungen dazu getroffen werden, ob die dokumentierten Gebäudeschäden tatsächlich auf das Erdbeben vom 22.11.2012 zurückzuführen sind. Vielmehr werden lediglich aus nicht hinterfragten Messergebnissen allgemeine Ableitungen vorgenommen und letztlich unbelegte und damit nicht nachvollziehbare Behauptungen aufgestellt. Mit einer objektiven Feststellung der Schadensursachen hat das m.E. nichts zu tun.

Angestrebt werden muss deshalb unbedingt, die Art der Begutachtung durch einen Sachverständigen für Bergschäden überprüfen zu lassen. Dieses könnte z.B. im Rahmen der Verfahren vor der vom niedersächsischen Wirtschaftsminister neu eingerichteten und seit dem 01.08.2014 tätigen Schlichtungsstelle für Bergschäden in Rotenburg/Wümme geschehen. Das ist allerdings davon abhängig, dass zum einen Betroffene die Schlichtungsstelle überhaupt anrufen, zum anderen davon, dass das Schlichtungsgremium sich von der Notwendigkeit einer solchen Verfahrensweise überzeugen lässt. Hierbei kommt naturgemäß den von den Betroffenen zu benennen den Schlichtern eine besondere Aufgabe zu.